
Karl Martin Bolte. © Foto: GGV
Im Mittelpunkt der soziologischen Forschungsarbeit steht die konkrete Person mit ihrer alltäglichen Praxis als zugleich konstitutives und abhängiges Element von Gesellschaft.
Theoretisch äüßert sich diese Perspektive in der Ausrichtung an einer „subjektorientierten Soziologie“, wie sie wesentlich durch Karl Martin Bolte (1925-2011) initiiert wurde. Diese verbindet die Vorstellung der systematischen Konstitution gesellschaftlicher Verhältnisse durch die handelnden Subjekte mit der Frage, wie die Betroffenen durch die entstehenden sozialen Strukturen und Dynamiken geprägt werden, und wie sie auf diese Weise Teil eines von ihnen nur bedingt beeinflussbaren sozialen Prozesses sowie einer daraus entstehenden historischen Enwicklung sind.
Dabei wird ein soziologischer Mehrebenenansatz angelegt, der die Mikro- und Makroebene von Gesellschaft und gelegentlich auch eine Mesoebene der Organisationen, Institutionen und Netzwerke in den Blick nimmt. Als Besonderheit der persönlichen Interpretation der subjektorientierten Soziologie kommt noch eine ‚unterhalb‘ der sozialen Mikroebene einzuordnende Sphäre der individuellen Subjekte hinzu – in der Annahme, dass sich diese (als soziale und auch vorsoziale Einheiten) gesellschaftliche Bedingungen aneignen und mit relativ autonomen Beiträgen einerseits Gesellschaft ausbilden und weiterentwickeln, aber zugleich ihren Zwängen unterliegen. Dass die „Subjekte“ dabei als „lebendige“ und körperliche Wesen (und somit als Teil der Biosphäre und der Evolution von Natur und nicht allein von Gesellschaft) wahr- und ernstgenommen werden, ist grundlegend für dieses Verständnis von Soziologie.
Daraus folgt, dass sich eine so verstandene und betriebene soziologishe Forschung meist auf zwei stark kontrastierenden Ebenen bewegt und entsprechende Fragen stellt: Was tun und erleben die konkreten individuellen Subjekte vor dem Hintergrund der sozialen Umstände, mit denen sie unausweichlich alltäglich konfrontiert sind und wie setzen sie sich mit ihnen aktiv auseinander? Worin besteht demgegenüber die Eigenlogik der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse im Rahmen eines langfristigen historischen Wandels und welche Funktion erfällt darin „Subjektivität“ als allgemeine Größe und wie verändert sie sich?
Methodisch Äußert sich diese Perspektive in der Orientierung an einem breiten Spektrum qualitiativer Methoden der empirischen Sozialforschung mit stark ethnographischer Ausrichtung. Die Forschung bemüht sich dabei, möglichst „nah“ und „intensiv“ die konkrete alltägliche Praxis und die praktischen Orientierungsweisen der handelnden Subjekte in ihren unmittelbar erlebten Lebenskontexten zu erfassen. Intensivinterviews und Expertengespräche auf Basis weitgehend „offener“ Instrumente werden dabei oft mit „begleitenden“ Beobachtungen kombiniert und fallstudienartig bei in der Regel kleinen Zahlen von Probanden eingesetzt.
Praktisch (und damit letztlich politisch) führt diese Perspektive zu einer gesellschaftlichen und ethischen Orientierung an der Bedeutung der Person in ihrer unmittelbaren Einzigartigkeit, ihrer persönlichen Würde und ihrem jeweiligen konkreten Erfahren von und Leben in Gesellschaft. Diese Perpektive steht (wie die theoretische und methodische Ausrichtung) bewusst in Kontrast zu einer in Teilen der Soziologie zu findenden „Blindheit“ und oft auch Ignoranz (oder sogar Arroganz) gegenüber der einzelnen Person.